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Der Olivenbaum

Ba rachamim asher ha shemesh alechem, jerachamu gam hem ke'at.

Das Erbarmen des Ewigen, dessen Sonne euch scheint, lässt auch euch Barmherzigkeit zuteil werden.

Bildbetrachtung: Gedanken über ein ungewöhnliches Glasfenster in Jerusalem
Buchempfehlung: Moshe Auman "Juden – Christen – Israel"

 

Der Olivenbaum
Gedanken von
Waltraud Rennebaum

Fenster in der Christ Church, Jerusalem

Glasfenster von Rick Wienecke (Israel)
Christ Church, Jerusalem,
Bildbetrachtung
DIE VERHEISSUNG
Das kunstvoll gestaltete Kirchenfenster stellt einen Olivenbaum dar, der eine geheimnisvolle Botschaft enthält. Unterhalb der Baumwurzeln befinden sich zwei ausgebrochene Zweige, die durch hebräische Schriftzeichen miteinander verbunden sind. Dort ist zu lesen: "Ba rachamim asher ha shemesh alechem, jerachamu gam hem ke'at." Ins Deutsche übertragen bedeutet dieser Zuspruch etwa: "In Gottes Erbarmungen, welcher die Sonne über euch erstrahlen lässt, wird auch euch noch Barmherzigkeit widerfahren zu dieser Zeit."
Einige der biblischen Propheten und auch König David vergleichen das jüdische Volk mit einem Ölbaum. So gelten die trostvollen Worte niemand anders als dem Volk Israel. Aufgrund seiner leidvollen Geschichte fühlte es sich oftmals wie von Gott verlassen und gleicht zwei abgeschnittenen Zweigen, die scheinbar ohne Hoffnung am Boden liegen.

DIE MENORAH
Es ist lohnend, diesen ungewöhnlichen Baum näher zu betrachten und über ihn nachzudenken. Je länger man ihn anschaut, desto mehr wundersame Details wird man an ihm entdecken. Die Zweige und Blätter verdichten sich natürlicherweise nach oben hin, denn sie streben zum Himmel, dem Licht entgegen. Aus einem Ast jedoch, der zugleich der niedrigste des Baumes ist, entspringen sechs Arme, drei zur rechten und drei zur linken Seite. Dies ist ein Hinweis auf den siebenarmigen Leuchter (hebräisch "Menorah"), der zunächst im Heiligtum der Stiftshütte und später im Jerusalemer Tempel stand. Die sieben Lampen des goldenen Leuchters wurden seinerzeit aus reinem Olivenöl gespeist und hatten den Zweck, das Heiligtum Tag und Nacht zu beleuchten (2. Mose 25,37). Bis heute gilt die Menorah als Symbol für die Erneuerung jüdischen Lebens im Land Israel.

DIE AUSGEBROCHENEN ZWEIGE
Es fällt auf, dass nur die oberen Zweige mit saftigem Grün, durch welches einzelne Oliven hindurch schimmern, bekleidet sind. Die kräftigen, dunkelbraunen Äste darunter wirken dagegen kahl und trostlos. Der traurige Eindruck wird noch verstärkt durch die beiden am Boden liegenden Äste. So wie sie daliegen, sind sie nutzlos: sie bringen keine Frucht, nicht ein einziges Blatt sprießt hervor. Es scheint, als wären sie abgeschnitten worden um darauf zu warten, eines Tages wieder in ihren Baum zurück zu gelangen. Der Ölbaum wird genährt aus den Tiefen der Erde, wo die kräftigen Wurzeln ihre Nahrung finden und diese durch den Stamm an alle Äste und Zweige abgeben. Wie aber können die beiden ausgebrochenen Zweige, die ohne Verbindung zur Wurzel sind, wieder lebendig werden? Sie befinden sich auffallend nahe bei den eingangs zitierten Worten. Ja, es scheint, als würden sie einzig und allein von der Verheißung "In Gottes Erbarmungen, welche die Sonne über euch erstrahlen lässt, wird auch euch noch Barmherzigkeit widerfahren zu dieser Zeit..." getragen.

DIE FARBEN
Der Künstler teilt sich dem aufmerksamen Betrachter durch seine symbolhafte Farbgestaltung mit. Es ist gewiss kein Zufall, dass das Blattwerk von demselben satten Grün durchdrungen ist, welches die hebräischen Buchstaben zum Leuchten bringt. Das spricht von der Lebendigkeit und fruchtbringenden Wahrheit der Verheißung von Gottes Erbarmen gegenüber Israel. Auch die Schnittstellen der zwei abgeschnittenen Äste geben durch ihre leuchtend gelbe Farbe einen Hinweis: An der Öffnung zur linken Seite des Baumstamms findet sich ein ähnlicher Farbton, was die geheimnisvolle Verbindung beider Äste mit dem Stamm zu unterstreichen scheint. Bemerkenswert ist außerdem, dass nicht allein der Baum, sondern ebenso seine Wurzeln und das Erdreich von freundlich-hellblau schimmerndem Licht umgeben sind. So als wollte der Künstler sagen: "Was sich dem menschlichen Auge entzieht, weil es im Dunkel liegt, ist für den Allmächtigen ein lichter Raum, in welchem er beständig tätig ist." Das erinnert an Psalm 139,11-12: "Spräche ich: Finsternis möge mich decken und Nacht statt Licht um mich sein -, so wäre auch Finsternis nicht finster bei dir, und die Nacht leuchtete hell wie der Tag. Finsternis ist gleich Helle."

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Hosea 14, 5-8 Der Herr spricht über Israel: "So will ich ihre Abtrünnigkeit wieder heilen. Gerne will ich sie lieben, denn mein Zorn soll sich von ihnen wenden. Ich will für Israel wie ein Tau sein, dass es blühen soll wie eine Lilie, und seine Wurzeln sollen ausschlagen wie eine Linde und seine Zweige sich ausbreiten, dass es so schön sei wie ein Olivenbaum und so feinen Duft gebe wie die Linde. Und sie sollen wieder unter meinem Schatten sitzen; von Korn sollen sie sich nähren und blühen wie ein Weinstock. Man soll sie rühmen wie den Wein vom Libanon."
Psalm 52, 10-11 Ein Psalm Davids: "Ich aber werde bleiben wie ein grünender Olivenbaum im Hause Gottes; ich verlasse mich auf Gottes Güte immer und ewig. Ich will dir danken ewiglich, denn du hast es getan. Ich will harren auf deinen Namen vor deinen Heiligen, denn du bist gütig."
Römerbrief 11, 16. 28b-29 Da Abraham und die anderen Stammväter heilig waren, werden auch ihre Nachkommen heilig sein. Denn wenn die Wurzel des Olivenbaums heilig ist, dann werden es auch die Zweige sein (16). Aufgrund der Zusagen an Abraham, Isaaak und Jakob sind sie nach wie vor Gottes Geliebte. Denn die Gaben, die Gott gibt und die Berufung, die er ausspricht, bereut er nicht und sie gelten für immer (28b, 29).

 
Moshe Aumann
Juden – Christen – Israel
Nach 2000 Jahren Verfolgung und Feindschaft – ein Neuanfang
© Brunnen Verlag
Originalausgabe: Conflict & Connection. The Jewish-Christian-Israel Triangle
© Moshe Aumann • Gefen Publishing House, Jerusalem und New York
Moshe Aumann emigrierte 1938 als Zwölfjähriger mit seiner Familie von Frankfurt am Main in die USA. Zwölf Jahre später übersiedelte er nach Israel und ließ sich in Jerusalem als Journalist und Buchautor nieder, bis er 1956 in das israelische Außenministerium berufen wurde, für das er insgesamt 35 Jahre tätig war, davon drei Legislaturperioden in den USA. In seinen letzten vier Dienstjahren und danach widmete sich Aumann den jüdisch-christlichen und den israelisch-christlichen Beziehungen. Als Generalkonsul und Gesandter des israelischen Botschafters in Washington war er für die Beziehungen zu den christlichen Kirchen tätig.
Er hat ein bemerkenswertes Buch geschrieben, in welchem er sich mit den drei Seiten des "Dreiecks" Juden, Christen und Israel auseinandersetzt und der Frage nachgeht, wie das Verhältnis zueinander beschaffen ist. In seiner gleichnamigen Publikation schreibt er einleitend:
Zitate aus dem nebenstehenden Buch mit freundlicher Genehmigung des Brunnen-Verlags

"Juden – Christen – Israel"
352 Seiten, Pback.
1 Expl. € 12,- / 2 Expl. € 20,-
Bestellen: Shoshanim-Verlag
Aus dem Vorwort

Unsere Welt befindet sich inmitten eines dramatischen Wandels. Die umwälzenden Ereignisse, welche die Völker in der Mitte des 20. Jahrhunderts erschütterten – die Schoa, der zweite Weltkrieg, der Abwurf der Atombomben auf Hiroshima und Nagasaki und als Gegengewicht dazu die Wiedergeburt Israels und in den darauf folgenden Jahrzehnten die Gründung von über hundert neuen Nationalstaaten auf der ganzen Welt – haben eine Reihe von Entwicklungen in Gang gebracht, die in ihrer Tragweite und Geschwindigkeit so umfassend sind, dass es sehr schwierig, wenn nicht gar unmöglich erscheint, sie mitsamt ihren Auswirkungen auf die Zukunft der Menschheit zu erfassen und zu begreifen...

... Fein verwebt in diesem riesengroßen Geflecht des weltweiten politischen und sozialen Wandels kann man – bei genauerer Betrachtung – zwei sehr feine Fäden entdecken. Eine dieser Linien war die 1977 erfolgte mutige Antwort des ägyptischen Ministerpräsidenten Anwar as-Sadat auf das Friedensangebot des israelischen Premierministers Menachem Begin. Im März 1979 schlossen Ägypten und Israel einen Friedensvertrag, der das Ziel hatte, die lange und bittere Feindschaft Ägyptens mit Israel zu beenden und der auf der vollen Anerkennung der nationalen Existenz des Staates Israel in diesem Gebiet der Welt beruht. Dieser Schritt in Richtung Frieden von Seiten des führenden Landes unter den Nachbarstaaten Israels setzte einen Prozess in Gang, der eines Tages auch einem der am längsten andauernden und scheinbar hartnäckigsten Konflikte des 20. Jahrhunderts ein Ende bereiten könnte:
dem Konflikt zwischen den arabischen Staaten des Mittleren Ostens und dem Staat Israel...

... Die andere Linie ist noch feiner und fällt dem flüchtigen Beobachter noch weniger auf. Dennoch ist sie mit der ihr innewohnenden Möglichkeit für eine tiefe politische und soziale Veränderung der Weltpolitik im 21. Jahrhundert wahrscheinlich von viel größerer Bedeutung als die politischen Entwicklungen im Nahen Osten. Dies ist darin begründet, dass es sich hier um ein grundsätzliches religiöses Phänomen handelt, das nicht nur die internationalen Beziehungen betrifft, sondern auch das Verhaltensmuster der Beziehungen zwischen zwei der größten Glaubensrichtungen der Welt: Judentum und Christentum.

So hat sich die Einstellung einiger großer christlicher Kirchen – der protestantischen, katholischen und in einem geringeren Maß auch der orthodoxen Kirchen – gegenüber der jüdischen Religion dramatisch zum Positiven verändert. Von der Öffentlichkeit im Allgemeinen wurde dieser Veränderungsprozess, der zu einem Paradigmenwechsel in der Einstellung der Kirchen gegenüber dem Judentum führte, allerdings kaum wahrgenommen. Gerade deswegen ist es wichtig, auf diesen Prozess aufmerksam zu machen. Denn er wird möglicherweise auf lange Sicht das ganze Verhältnis zwischen Kirche und Synagoge in umfassender Weise transformieren. Dies würde aber eine völlige Veränderung der Beziehung der christlichen Kirchen gegenüber der jüdischen Religionsgemeinschaft und eine Veränderung ihrer Einstellung gegenüber der Wiedergeburt und Erneuerung des Staates Israel und ihrer Beziehung zu diesem Staat als solchem mit sich bringen...

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aus Teil 1: Der Hintergrund

Kapitel 3:
Wegtrennung
Mit dem Auftritt des Christentums auf der Bühne der Weltgeschichte änderte sich auch der Charakter der Begegnung zwischen Juden und Nichtjuden. In den ersten zwei Jahrhunderten n. Chr. gingen Juden und Christen noch einen gemeinsamen Weg. Das Christentum wurde in der Anfangszeit als eine innerjüdische Splittergruppe wahrgenommen, die sich von der Hauptrichtung des rabbinischen Judentums gelöst hatte, weil sie an Jesus als den Messias glaubte. Was aber als innerjüdische Spaltung zwischen rabbinischen Juden und Juden, die den Aposteln folgten und Jesus als den Messias ansahen, begann, sollte sich bald zu einem viel tieferen Konflikt entwickeln, der schnell den Charakter eines innerjüdischen Konflikts verlor und auch das Verhältnis von Juden und Nichtjuden in den Streit mit einbezog... Im Verlauf der Zeit entwickelten sich das Judentum und das Christentum – und die beiden Glaubensgemeinschaften als solche – immer weiter auseinander...
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Verfolgung und Schutz In der jüdischen Geschichte ist das Mittelalter für die grausamste Art und Weise berüchtigt, in der das christliche Europa mit den jüdischen Gemeinden umging. Die lange Liste von Grausamkeiten von Christen gegenüber Juden im Mittelalter ist unübersehbar: die Verleumdung, dass Juden in ihren religiösen Ritualen menschliches Blut benutzen, die Massaker an Juden, gesellschaftliche und wirtschaftliche Diskriminierung, Einkerkerung der geistlichen Führer, mit Gewalt erzwungene Bekehrungen zum Christentum und Massenvertreibungen...
Das Ziel dieses Buches besteht eben nicht darin, vor dem Leser allseits bekannte historische Tatsachen auszubreiten, sondern seine Aufmerksamkeit auf das zu richten, was sich jetzt – in unserer Generation – ereignet und sich zu einem Epoche machenden Wandel in der Begegnung zwischen Juden und Christen zu entwickeln scheint.
Es ist ein Wandel, der das Potential hat, die negative Beziehung der Begegnung zwischen Juden und Christen seit den Anfängen des Christentums vollständig ins Positive umzukehren. Trotzdem sind sich nur wenige Menschen – unter Christen wie auch unter Juden – dieses Epoche machenden Wandels bewusst, sodass die Fortsetzung und die volle Entfaltung dieses Wandels in kommenden Jahren und Jahrzehnten gefährdet ist. Denn ein solcher Prozess kann sich zweifellos nur auf Grund einer zahlreichen und breit gestreuten Beteiligung von Mitgliedern beider Glaubensgemeinschaften fortsetzen und entfalten...
aus Teil 2: Kurswechsel

Kapitel 4:
Christentum und Judentum heute

Der Weg von der "Enterbung" zur "Verstoßung" der Juden

In der bisherigen Geschichte ist die Einstellung der Christen gegenüber Juden und Judentum sehr stark von der Vorstellung einer "Enterbung" der Juden und den aus ihr abgeleiteten Lehren des Triumphalismus und der Verstoßung der Juden geprägt worden. So treten nach der Enterbungslehre die Christen an die Stelle der Juden und nehmen ihren Platz als das von Gott auserwählte Volk ein, weil die Juden Jesus von Nazareth nicht als Messias angenommen haben... Diese Lehre wurde dann auch auf das Neue Testament – oder besser vielleicht auf den Neuen Bund – übertragen und daraus gefolgert, dass das Neue Testament das Alte Testament als gültiges Wort Gottes ersetzt habe. Von der Enterbungslehre und ähnlichen Lehren war es dann nur noch ein kleiner Schritt zu Entwürfen wie dem "Triumphalismus", der den Sieg der Kirche über das bezwungene jüdische Volk feiert, das dazu verdammt sei, bis in alle Ewigkeit heimatlos auf dieser Erde zu sein...
Adolf Hitler und seine Nazi-Kohorten waren eben keine Christen; sie waren vielmehr erklärte und unversöhnliche Gegner des Christentums. Trotzdem konnten sie aber bei der Planung, Leitung und Ausführung ihres satanischen, in seiner Art noch nie da gewesenen völkermörderischen Feldzugs gegen die Juden mit vollen Händen aus der Fülle antijüdischer Vorstellungen der christlichen Kirchen schöpfen...

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Die Evangelikalen und der Staat Israel Die evangelikalen Christen vertreten eine andere Haltung gegenüber dem Staat Israel als die Mainstream-Kirchen... Mit der Heimkehr Israels erfüllte sich für sie nach und nach all das, was die Propheten Jesaja, Jeremia, Hesekiel, Amos, Sacharja und andere über die Rückkehr des Volkes Israel in das ihnen von Gott verheißene Land, über das Zusammenströmen der verstreuten Söhne und Töchter von allen Enden der Erde, die Erneuerung und Fruchtbarmachung des so lange vernachlässigten Bodens und den Neuaufbau der verwüsteten Städte prophezeit hatten...
Das einzige Ereignis, das aus christlicher Sicht noch wichtiger und größer erscheint als die Heimkehr Israels, ist die Wiederkunft Christi. Da aber die Heimkehr Israels der Wiederkunft Christi zeitlich vorausgeht (so sehen es viele Evangelikale), bildet die Heimkehr Israels für sie einen wesentlichen Teil dieses Geschehens...
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Eine verborgene Agenda? Auch wenn die Evangelikalen die Gründung des Staates Israel begrüßen, ja geradezu feiern, haben viele Juden ein Problem mit dieser evangelikalen Haltung zu Israel... Denn sie befürchten, dass sie den Evangelikalen trotz all ihrer Freundschaft und Unterstützung wegen ihrer Erwartung der Wiederkunft Christi nicht trauen können; bei der Wiederkunft Christi werden sie nämlich versuchen, alle Juden zum christlichen Glauben zu bekehren...
Und noch etwas ist wichtig: Auch die Juden, nicht nur die Christen, erwarten die Ankunft des Messias, auch wenn sie von der Ankunft des Messias eine andere Vorstellung haben als die Christen. Daher ist es im jüdisch-christlichen Dialog wichtig, ja sogar lebenswichtig, sich diese unterschiedlichen Messiaserwartungen vor Augen zu halten. Allerdings dürfen diese unterschiedlichen Erwartungen kein Hindernis für das Bestreben von Juden und Christen darstellen, eine gute Beziehung zueinander zu entwickeln. Denn trotz aller Unterschiede besitzen Juden und Christen auch ein gemeinsames geistliches Erbe, das es ihnen nicht nur ermöglicht, sondern geradezu gebietet, einen gemeinsamen Weg zu gehen...
Erstaunlicherweise findet sich auch in den Schriften des Mose Maimonides und anderer jüdischer Bibelausleger und Philosophen die Überzeugung, dass eine notwendige Bedingung für das Kommen des Messias darin besteht, dass die Juden in Israel ihre nationale Souveränität und Unabhängigkeit wiedererlangen. Es gibt noch eine weitere Parallele zwischen jüdischem Ethos und evangelikalem Christentum: Die jüdische Hingabe an Gott ist ... mehr nach außen orientiert als nach innen. Ihr höchstes Ziel besteht darin, darauf hinzuarbeiten, dass die ganze Welt den Gott Israels als ihren Schöpfer und Gott bekennt.
aus Teil 3: Problembereiche

Kapitel 7:
Grundloser Hass

Der Begriff "Antisemitismus" ist – genau genommen – eine unklare, ja sogar falsche Bezeichnung für die verschiedenen Formen von Judenfeindlichkeit. Dies ist vor allem dann der Fall, wenn man das Wort – was häufig geschieht – als "Anti-Semitismus", d.h. "gegen die Semiten gerichtet" buchstabiert und so missbraucht... Einige Forscher haben vorgeschlagen, das Wort "Anti-Semitismus" durch den Begriff "Anti-Judaismus" zu ersetzen. Mit dem Begriff des Antijudaismus sind dabei alle gegen Juden oder das jüdische Volk und seinen Glauben gerichteten Taten und Worte bezeichnet... Ein alternativer Ausdruck, den wir in gleicher Weise verwenden werden, ist der Begriff "grundloser Hass".

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Christlicher Antisemitismus Die Judenfeindschaft erreichte in der Mitte des 20. Jahrhunderts mit dem sorgfältig geplanten, organisierten und durchgeführten völkermörderischen Feldzug der Nazis gegen die europäischen Juden, der über sechs Millionen Männern, Frauen und Kindern das Leben kostete, ihren unrühmlichen Höhepunkt. Die Nazi-Bewegung war kein christliches Phänomen, aber ihr satanischer völkermörderischer Feldzug fand in einem Gebiet statt, das man mit einem gewissen Recht als das Herz des christlichen Europa bezeichnen kann. Die Nazi-Bewegung verdankt ihren Erfolg zu einem Teil dem Wiederaufleben des antisemitischen Gifts, das u. a. Martin Luther ausgestreut hat, und solchen klassischen antijüdischen kirchlichen Lehren wie der Lehre von der Verwerfung und anderen damit in Verbindung stehenden Dogmen...
Da nun aber nach dem Holocaust in den meisten Ländern der Antisemitismus nicht mehr im Trend liegt bzw. nicht mehr hoffähig ist, entstand vor allem in den letzten Jahrzehnten die neue Tendenz, ihn in der Form des Anti-Zionismus oder Anti-Israelismus zu verkleiden oder zu verstecken.
Kapitel 8:
Mission – Zeugnis – Dialog
Es gibt keinen anderen Aspekt der christlich-jüdischen Beziehungen, der die Dialogteilnehmer auf beiden Seiten des Grabens gedanklich und emotional so beschäftigt, wie das Thema der Evangelisation (oder sollen wir "Proselytenmachen" oder "Mission" oder "Zeugnis" sagen? Wie sollen wir es tatsächlich nennen?)
Für Christen ist die Aufgabe, das Evangelium einer ungläubigen Welt zu verkündigen, eine religiöse Verpflichtung höchsten Ranges. Sie gehört zum Kern und Wesen des christlichen Glaubens...
Die Geschichte der christlichen Judenverfolgungen ist jedoch zuallererst eine Geschichte von jüdischen Zwangsbekehrungen zum Christentum... Es ist daher nicht sonderlich schwierig zu verstehen, warum die Begriffe "Christentum, Mission, Bekehrung und Verfolgung" in einer gewissen Weise für die Juden zu Synonymen geworden sind...
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Den "Namen" verherrlichen Wenn wir nun auf der anderen Seite von "Zeugnis" sprechen, sieht die Sachlage anders aus. Denn das Zeugnis stellt einen Weg dar, auf dem sich zwei Erzähler treffen und in Harmonie darstellen können. Nach Ansicht einiger Denker auf beiden Seiten des Grabens ist das Zeugnis ein Mittel, das sich im Werkzeugkasten beider Glaubensgemeinschaften findet und das daher auch beide benutzen können, ohne im anderen Verdacht oder Furcht zu wecken. Die Christen nennen dieses Werkzeug "Zeugnis" und die Juden "Heiligung" oder "Verherrlichung des Namens".
Daher soll jeder Mann und jede Frau in beiden Glaubensgemeinschaften – und auch beide Glaubensgemeinschaften als solche – ihre eigene Religion und ihren eigenen Glauben in Wort und Tat so leben und praktizieren, dass sie den Respekt und die Bewunderung der anderen erwerben. Schon allein eine solche Haltung würde die Welt zu einem besseren Ort machen.
Kapitel 9:
Die fehlende Verbindung
Das Bemerkenswerteste all solchen Wiederauflebens ist die Entstehung des Staates Israel, die dadurch, dass sie die verloren gegangene Beziehung des Landes zum jüdischen Volk und zur jüdischen Religion wiederherstellte, es dem Judentum ermöglichte, seine Ganzheit wiederzugewinnen. (Aus 1977 verabschiedeten Richtlinien der britischen Arbeitsgruppe "Die Kirche und das jüdische Volk")

Der Titel dieses Buches ist das "Dreieck" Juden – Christen – Israel. Da aber unser Hauptthema der Paradigmenwechsel ist, der in der Beziehung zwischen den ersten zwei Seiten dieses Dreiecks – dem Judentum und Christentum – stattfindet, hatten wir ihn bis jetzt in den Mittelpunkt unserer Darstellung gerückt; bisher sind wir aber noch nicht auf die dritte Seite des "Dreiecks" eingegangen: auf den Staat Israel. Er stellt nämlich die politische Verkörperung des jüdischen Volkes dar und nimmt als solche eine wichtige Stellung im Glauben und Leben vieler Juden ein. Um die Untersuchung des in diesem Buch behandelten "Beziehungsdreiecks" zu vervollständigen, wollen wir jetzt nach der Einstellung der Kirchen zum Staat Israel fragen...
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Aus dem Anhang:

Lutherische Europäische Kommission über Kirche und Judentum
Erklärung zur Begegnung zwischen lutherischen Christen und Juden vom 08.05.1990, verabschiedet in Driebergen (Niederlande) • Auszüge aus: I. Grundlegendes
1. Weil Jesus aus dem jüdischen Volk kommt und sich von ihm nicht losgesagt hat und weil das Alte Testament die Bibel Jesu und der Urkirche war, sind Christen durch ihr Bekenntnis zu Jesus Christus in ein einzigartiges Verhältnis zu Juden und ihrem Glauben gebracht, das sich vom Verhältnis zu anderen Religionen unterscheidet.
2. Dieses Verhältnis zwischen Christen und Juden wurzelt in dem Zeugnis von dem einen Gott und seiner Bundestreue, wie es in den Büchern der Heiligen Schrift Alten Testaments, die wir gemeinsam haben, überliefert ist. (...)
3. Gott hat Israel zu seinem Volk erwählt. Diese Aussage ist nicht aufgehoben und wird in dem neutestamentlichen Bekenntnis zu Jesus als dem gekommenen Messias erneuert und bestätigt. Israel wird nicht durch die Kirche ersetzt.
4. Wir glauben, dass Gott in seiner Treue sein Volk Israel durch die Geschichte geführt und es durch die jüdische Glaubenstradition als Volk bewahrt hat. Wir sehen in der Heimkehr in das Land der Väter ein Zeichen der Bundestreue Gottes.
5. Die christliche Gemeinde ist im jüdischen Volk entstanden und bedarf daher zur Bestimmung ihrer Identität einer Beziehung zum Judentum. Seither gehören zur Kirche sowohl Menschen aus dem jüdischen Volk als auch solche, die aus anderen Völkern kommen. (...) nach oben
Aus dem Anhang:

National Jewish Scholars Project
DABRU EMET – Redet Wahrheit (Sacharja 8, 16) • Eine jüdische Stellungnahme zu Christen und Christentum
veröffentlicht in der New York Times und der Baltimore Sun am 11.09.2000, unterzeichnet von 173 Rabbinern und Gelehrten aus USA, Kanada und Israel
(Auszüge)
1. Juden und Christen beten den gleichen Gott an. (...) freuen wir uns als jüdische Theologen darüber, dass Abermillionen von Menschen durch das Christentum in eine Beziehung zum Gott Israels getreten sind.
2. Juden und Christen stützen sich auf die Autorität ein und desselben Buches – die Bibel (das die Juden "Tenach" und die Christen das "Alte Testament" nennen).
3. Christen respektieren den Anspruch des jüdischen Volkes auf das Land Israel. (...) Als Angehörige einer biblisch begründeten Religion wissen Christen zu würdigen, daß Israel den Juden als der leibhaftigen Verkörperung des Bundes zwischen ihnen und Gott versprochen – und gegeben wurde. Viele Christen unterstützen den Staat Israel aus weit tiefer liegenden Gründen als nur solchen politischer Natur. Als Juden begrüßen wir diese Unterstützung.
4. Juden und Christen erkennen die moralischen Prinzipien der Tora an. Im Zentrum der moralischen Prinzipien der Tora steht die unveräußerliche Heiligkeit und Würde eines jeden Menschen. Wir alle wurden nach dem Bilde Gottes geschaffen. Dieser moralische Schwerpunkt, den wir teilen, kann die Grundlage für ein verbessertes Verhältnis zwischen unseren beiden Gemeinschaften sein. Darüber hinaus kann er auch zur Grundlage eines kraftvollen Zeugnisses für die gesamte Menschheit werden, das der Verbesserung des Lebens unserer Mitmenschen dient und sich gegen Unmoral und Götzendienst richtet, die uns verletzen und entwürdigen. Artikelanfang
5. Der Nazismus war kein christliches Phänomen. Ohne die lange Geschichte des christlichen Antijudaismus und christlicher Gewalt gegen Juden hätte die nationalsozialistische Ideologie keinen Bestand finden und nicht verwirklicht werden können. (...) Dennoch war der Nationalsozialismus selbst kein zwangsläufiges Produkt des Christentums. Wäre den Nationalsozialisten die Vernichtung der Juden in vollem Umfang gelungen, hätte sich ihre mörderische Raserei weitaus unmittelbarer gegen die Christen gerichtet. Mit Dankbarkeit gedenken wir jener Christen, die während der nationalsozialistischen Herrschaft ihr Leben riskiert oder geopfert haben, um Juden zu retten.
6. (...) Christen kennen und dienen Gott durch Jesus Christus und die christliche Tradition. Juden kennen und dienen Gott durch die Tora und die jüdische Tradition. (...) Weder Jude noch Christ sollten dazu genötigt werden, die Lehre der jeweils anderen Gemeinschaft anzunehmen.
7. Ein neues Verhältnis zwischen Juden und Christen wird die jüdische Praxis nicht schwächen. (...) Wir respektieren das Christentum als einen Glauben, der innerhalb des Judentums entstand und nach wie vor wesentliche Kontakte zu ihm hat. Wir betrachten es nicht als eine Erweiterung des Judentums.
8. Juden und Christen müssen sich gemeinsam für Gerechtigkeit und Frieden einsetzen. (...)
In dieser Bemühung leitet uns die Vision der Propheten Israels:
In der Folge der Tage wird es geschehen: Da wird der Berg des Hauses des Herrn festgegründet stehen an der Spitze der Berge und erhaben sein über die Hügel. Zu ihm strömen alle Völker. Dorthin pilgern viele Nationen und sprechen: "Auf, laßt uns hinaufziehen zum Berg des Herrn, zum Hause des Gottes Jakobs! Er lehre uns seine Wege, und wir wollen auf seinen Pfaden wandeln." (Jesaja 2, 2-3).
Tikva Frymer-Kensky, University of Chicago • David Novak, University of Toronto • Peter Ochs, University of Virginia • Michael Signer, University of Notre Dame
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